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- George Sand

Der GUI-Irrtum

von Sascha Frick (Oktober 04)

Für die Kunden unserer Anwendungen ist die Benutzerschnittstelle ein wichtiges Element und oft auch das Einzige, was sie von einer Software zu sehen bekommen. So scheint der folgende Gedanke für viele naheliegend:

Die Leistungsmerkmale einer Anwendung können noch so gut und nützlich sein und ihre Umsetzung in Form von Geschäftslogik noch so einfach und leicht verständlich; die Benutzerschnittstelle entscheidet letztlich darüber, ob die Anwendung aus Sicht des Anwenders brauchbar ist oder nicht.

Diese Überlegung ist nicht falsch aber gerade deshalb sehr gefährlich! Denn sie verleitet dazu, die Benutzerschnittstelle als etwas Aufgesetztes zu betrachten, als eine zusätzliche Schicht über dem applikatorischen Modell, die nahezu alleine darüber entscheidet, ob die Anwendung benutzerfreundlich ist oder nicht. Doch das ist ein grundsätzlicher und folgenschwerer Irrtum. Er führt dazu, dass Benutzerschnittstellen lediglich unter ästhetischen und bestenfalls ergonomischen Gesichtspunkten betrachtet werden. Natürlich sind Ästhetik und Ergonomie wichtige Erfolgsfaktoren, aber sie sind im besten Fall notwendige keinesfalls aber hinreichende Voraussetzungen für eine gute Benutzerschnittstelle; in jedem Fall genügen sie jedoch nicht, um eine Software anwendungsfreundlich und leicht bedienbar zu machen.

Entscheidend für die leicht zu erlernende und einfache Bedienung einer Software ist ein sauberes applikatorisches Modell, das die jeweilige Fachdomäne schlüssig und für die Anwender nachvollziehbar abbildet; es geht hier also um die Schaffung eines angemessenen konzeptionellen Modells als Basis anwenderfreundlicher Software.

Die Erkenntnis setzt sich langsam durch, dass Themen wie Anwenderfreundlichkeit und einfache Bedienbarkeit keine Dinge sind, die am Ende der Softwareentwicklung auch noch zu berücksichtigen sind. Die meisten Firmen haben heute sehr wohl verstanden, dass wir einer Software nicht nachträglich - quasi als krönenden Abschluss im Rahmen der Entwicklung - eine anwenderfreundliche Bedienung angedeihen lassen können, sondern dass Anwenderfreundlichkeit auf systematischen Entwürfen basieren muss; die Mensch-Maschineninteraktion muss von Beginn weg bewusst entworfen und gestaltet werden. Ich habe bereits früher argumentiert, dass der normalerweise eher technisch orientierte Entwickler dieser Aufgabe nur selten gewachsen ist, da ihm in der Regel das dazu nötige psychologische Hintergrundwissen fehlt, und er daher die Folgen von bestimmten Entwurfsentscheidungen nicht angemessen einschätzen kann und ihm auch die Mittel zur systematischen Bewertung in Bezug auf die zu erreichende Anwenderfreundlichkeit nicht geläufig sind. Gute Entwickler wissen um ihr Defizit auf diesem Gebiet und bilden sich entsprechend weiter oder sind ehrlich genug, um zu ihren Grenzen zu stehen und den Einbezug von weiteren Spezialisten zu fordern, beispielsweise von Interface-Designern, die antreten, Software menschenfreundlicher zu gestalten.

Die Erweiterung des Entwicklungsteams um Interface-Designer scheint zunächst ein Fortschritt zu sein, bei der es im Sinne einer interdisziplinären Aufgabenteilung nur noch darum geht, das jeweilige Spezialistenwissen nutzbringend zu einem Ganzen zu vereinen. Leider führt diese Trennung zwischen der technischen und der benutzerorientierten Sicht oft dazu, dass das oben geforderte angemessene konzeptionelle Modell - sozusagen das Bild der Problemdomäne als Basis für die Anwendung und gedacht als Hilfestellung für den Bediener in seiner Rolle als Problemlöser - schlicht vergessen wird: Der Softwareentwickler kümmert sich um die Anwendungslogik unter technischen Aspekten - durchaus im Bemühen darum, das jeweilige Problem fachgerecht zu lösen -, während der Interface-Designer sich um die ergonomischen Aspekte der Anwendung kümmert und sich wichtiger Dinge annimmt wie durchgängigem Layout, angemessener und schlüssiger Visualisierung, konsistentem Feedback, etc. Und keiner stellt sich auch nur die Frage, mit welchen Vorstellungen und Erwartungen der Anwender bezogen auf das Problem, das er zu lösen hat, an die Software herantritt. Keiner bemüht sich darum, eine Systemmetapher zu entwerfen, die es einerseits dem Entwickler erlaubt, die fachlichen Probleme sauber zu lösen und andererseits die Anwender befähigt, erfolgreich, mit Freude und somit stressfrei mit der Software zu arbeiten. Während der Interface-Designer Style-Guides entwirft und mit dem Entwickler um die beste Platzierung bestimmter Informationselemente ringt, während eifrig über Form und Farbe von Schaltflächen diskutiert und die Schachtelungstiefe von Menübäumen ausführlich erörtert wird, bleibt eine wesentliche Kernfrage meist unbeantwortet:

Welches Bild macht sich der Anwender vom Problem, das mit Hilfe der Software gelöst werden soll, und wie müssen wir den Problemraum strukturieren, damit der Anwender die jeweils angemessene Lösungen schnell und zuverlässig bestimmen kann?

Viele Interface-Designer sind zwar mit den Grundsätzen der Wahrnehmungspsychologie vertraut, manche haben sich sogar mit dem menschlichen Gedächtnis zumindest ansatzweise beschäftigt. Dennoch fehlt vielen von ihnen das nötige psychologische Wissen, um gemeinsam mit den Softwareentwicklen an der Schaffung eines schlüssigen mentalen Modells des applikatorischen Problemraums zu arbeiten. Und weder Interface-Designer noch Softwareentwickler ziehen überhaupt in Betracht, dass etwas Entscheidendes fehlt; so entsteht weder ein durchgängiges Domänenmodell, noch entwickelt sich eine gemeinsame allgegenwärtige Sprache als Basis für eine reibungslose Kommunikation zwischen den verschiedenen Teammitgliedern und Vertretern der beteiligten Anspruchsgruppen. Folglich fehlt auch die entscheidende Basis, um Anwendungen tatsächlich anwendungsfreundlicher zu machen. Nicht selten muss dann der Interface-Designer durch allerlei Tricks versuchen, den Schwächen des applikatorischen Modells die Spitzen zu nehmen, um zumindest anscheinend ein abgerundetes Bild zu erhalten; dabei sind dann die abgerundeten Schaltflächen oft das Einzige, was von diesen Versuchen tatsächlich sichtbar wird.

Die meisten Softwareentwickler und ihre Manager wissen nicht, wie man Anwendungen so entwirft, dass sie einfach zu verwenden sind. Sie wissen dagegen meist sehr wohl, wie man Anwendungen reichhaltig ausstattet. Deshalb entwickeln sie Anwendungen, die mit Leistungsmerkmalen überfrachtet sind und meist eine Vielzahl von marginalen Merkmalen bieten, die von den meisten Anwendern gar nicht benötigt werden, die Bedienung der Software aber zusätzlich und unnötig erschweren. Wer gezwungen ist, handelsübliche Standardsoftware anzuwenden, weiss wovon die Rede ist.

Wollen wir dagegen wahrhaft anwendungsfreundliche Software entwickeln, so müssen wir nach kompromissloser Einfachheit streben; wir dürfen uns nicht dazu verleiten lassen, jedes noch so nützlich scheinende Feature umzusetzen, nur weil es auf der Wunschliste eines Entscheidungsträgers oder Meinungsführers steht! Wenn wir uns dieser Form der falsch verstandenen Befriedigung sogenannter Anspruchsgruppen beugen, haben wir bereits verloren. Zwar mögen wir damit – wenn auch nur kurzfristig - den Auswirkungen pathologischer Firmenpolitik entgehen, zwar mögen wir dem Marketing die Gelegenheit geben, farbige mit vollmundigen Versprechungen vollgepackte Prospekte zu entwerfen und unter die Leute zu verteilen, doch das Ergebnis wird am Schluss ein komplizierter Featurehaufen sein, aus dem sich der Anwender das für ihn Nützliche mühsam herauspflücken muss.

Damit können wir der eingangs ausgeführten Aussage, wonach letztlich die Benutzerschnittstelle darüber entscheidet, ob die Anwendung aus Sicht des Anwenders brauchbar ist oder nicht, die folgende Erkenntnis gegenüber stellen:

Unsere Anwendungen können noch so mächtig und unsere Benutzerschnittstellen graphisch noch so ansprechend gestaltet sein, letztlich entscheidend ist das konzeptionelle Modell einer Anwendung: Ist es einfach und baut auf einer durchgängigen Systemphilosophie auf, in deren Zentrum ein ordnendes Gesamtbild steht, dann haben wir die entscheidende Grundlage für benutzerfreundliche und wirklich nützliche Anwendungen geschaffen, die den Anwender befähigen, anstehende Aufgaben effektiv und effizient zu erledigen, anstatt ihn mit einer Vielzahl von Nebensächlichkeiten und Ungereimtheiten an den Rand der Verzweiflung zu treiben.

Ein durchgängiges konzeptionelles Domänenmodell kann nur durch die Verschmelzung von Domänen-, Informatik-und eben auch psychologischem Wissen entstehen. Vernachlässigen wir auch nur einen dieser drei Aspekte, wird es uns kaum je gelingen, anwendungsfreundliche Systeme zu entwerfen. Software-Entwickler und Interface-Designer müssen daher vermehrt und intensiv zusammen arbeiten. Der Interface-Designer muss dabei zum eigentlichen Interaktionsdesigner werden, der sich von den rein ästhetischen und ergonomischen Fragen löst und sich verstärkt mit kognitionspsychologischen Fragen auseinander setzt, in deren Zentrum der Mensch mit seinen Stärken und Schwächen steht. In diesem Zusammenhang sei abschliessend der folgende bedeutsame Gedanke aufgegriffen: Softwareentwicklung ist auch die Kunst, das absolut Nötige vom grundsätzlich Machbaren zu unterscheiden; dabei sind wir herausgefordert, im Dienste der Anwender unserer Software häufiger nein anstatt einfach zu allem nur ja zu sagen.

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