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- George Sand

Neujahrsgedanken (I)

von Sascha Frick (Dezember 03)
Das mit den Jahreszahlen ist immer so eine Sache: Da schreibt man voller Tatendrang eine E-Mail an alle Kunden, Partner und Interessenten, um einen guten Rutsch ins neue Jahr zu wünschen, und schon geht es schief: „Einen guten Rutsch ins 2003“ steht da zu lesen. Na Bravo! Nach 12 Monaten „2003“ schreiben, fällt es schwer, sich an eine neue Jahreszahl zu gewöhnen. Da wäre ein Bisschen künstliche Intelligenz ganz nützlich, die mich beim Schreiben einer E-Mail mit dem Begriff „neues Jahr“ im Titel und aufgrund des aktuellen Datums (29.12.2003) darauf hinweist, dass das neue Jahr 2004 ist, weil ja eben das Jahr 2003 zu Ende geht. Oder wie wäre es in der Zukunft mit einem persönlichen elektronischen Assistenten zur Wahrung meines guten Rufes. Das könnte dann so aussehen:

Der Assistent informiert mich höflich darüber, dass die neutrale Formulierung „Einen guten Rutsch ins neue Jahr“ den gleichen Zweck erfüllt wie „Einen guten Rutsch ins 2003“ und dabei erst noch wieder verwendbar ist. Auf der Basis meines gespeicherten persönlichen Profils weiss dieser Assistent nämlich, dass ich als Softwareentwickler geradezu in die Wiederverwendbarkeit vernarrt bin. Mein Profil – das alles Wissenswerte über mich enthält und akribisch und mit maschineller Disziplin im Hintergrund ständig aktualisiert wird - sendet der Assistent übrigens in regelmässigen Abständen an die staatlichen Behörden und an ausgesuchte Konzerne der Unterhaltungsindustrie; nur zu meinem Besten, versteht sich und rein präventiv. Damit ich nicht, ohne es zu merken, zum subversiven Element werde oder mich der Marktmacht der Unterhaltungsbranche entziehe, indem ich ihre Produkte boykottiere.

Ich habe dazu ausdrücklich meine Zustimmung gegeben, denn ich hatte die Wahl. D.h. mit dem Umstieg auf die neuste Windows-Version – Codename Longnose – durfte ich mich zwischen „Windows mit allen Leistungsmerkmalen installieren“ und „Installation abbrechen“ entscheiden.

Nun, seit Linux aufgrund einer Reihe von Trivialpatenten wie z.B. „das Drücken der Eingabetaste zur Auswahl einer Option“ nicht mehr angeboten werden darf, hatte ich gar keine andere Wahl als Windows zu installieren.

Der Assistent kauft übrigens auch regelmässig in meinem Namen irgendwelche Musik-CDs. Mir ist es dabei völlig egal, was der Kerl da zusammenkauft, denn anhören kann ich mir die Musik eh nicht, da alle diese sogenannten Un-CDs mit einer Abspielsperre versehen sind und keines unserer Abspielgeräte mit diesen Scheiben zurechtkommt.

Zugegeben, das entspricht nicht ganz der Wahrheit! Denn eigentlich ist es so, dass ich mich geweigert habe, mir und dem Rest meiner Familie einen DRM-Chip implantieren zu lassen (mehr zum Thema DRM: Digital rights management and the breakdown of social norms und Accessibility implications of digital rights management). Daher bleiben bei uns seit einiger Zeit die Lautsprecher stumm und der Fernsehschirm dunkel.

Der Assistent versucht wirklich sein Bestes um zu verhindern, dass einer der Suchassistenten der Unterhaltungsindustrie Alarm schlägt und mich auf einer schwarze Liste von potentiellen Raubkopieren einträgt. Denn das hätte fatale Folgen. Ich müsste mit schwersten Sanktionen rechnen. Im schlimmsten Fall käme ich – auf Verdacht und zur Abschreckung – für mehrere Monate ins Gefängnis.

Das wird Sie jetzt vielleicht wundern, aber das geht heute – da auch die Schweiz dem Druck Amerikas nachgegeben und die Unschuldsvermutung abgeschafft hat – ohne Probleme. Apropos Amerika:

Um Ärger mit dem amerikanischen Geheimdienst zu verhindern (Stichwort: Echelon, vgl. hierzu echelonwatch.org), sorgt dieser Assistent natürlich auch dafür, dass alle verfänglichen Formulierungen aus meinen E-Mails getilgt werden. Begriffe wie „Bombenstimmung“ oder „Absturz zu Neujahr“ oder „ein Buschfeuer bekämpfen“ werden systematisch entfernt und durch harmlose Formulierungen ersetzt oder – wo das nicht geht – einfach gelöscht.

Sehen Sie, jetzt ist es schon wieder passiert! Anstatt mir Gedanken zum Jahr 2004 zu machen, bin ich irgendwo wo in einer möglichen Zukunft gelandet.

Zum Glück habe ich das diesmal auch ohne persönlichen Assistenten noch rechtzeitig bemerkt! Eigentlich bin ja ganz froh, dass es diesen Assistenten noch nicht gibt und der DRM-Chip für den Menschen als schlechter Scherz abgetan werden kann.

So freue ich mich über meine neue Word Version. Die ist jetzt nämlich in der Lage, sich nach einem Absturz automatisch selbst neu zu starten. Den für dieses Feature nötigen Absturz bekommt Word ja schon seit einigen Versionen problemlos hin. Das nenne ich Innovation, getreu dem Motto „If you can’t fix it, feature it“.

Ich glaube, das mit den Neujahrsgedanken verschiebe ich – auf nächstes Jahr…